Sternstunde einer Fotoexpedition

Der Fotograf Christian Ziegler dokumentiert ungewöhnliche Verhaltensweisen bei wilden Bonobos

1. September 2022

Der männliche Bonobo auf dem Bild wirkt überaus fotogen – sein dichtes Fell glänzt im Sonnenlicht. Der Gesichtsausdruck ist so selbstbewusst und gelassen, als wäre das Fotoshooting Routine. Der Menschenaffe ist schön, aber der eigentliche Hingucker ist das, was er im Arm hält: eine goldfarbene Manguste, ein Jungtier mit großen Augen und rosa Nase. Die Art wie der Menschenaffen das kleine Raubtier im Arm hält wirkt behutsam, geradezu zärtlich.

Was die ungleichen Artgenossen füreinander empfinden bleibt ein Rätsel, so wie das Schicksal der kleinen Manguste. Es war eine der seltenen Zufallsbegegnungen, die dem Tierfotografen Christian Ziegler den „goldenen Schuss“ im Wald von LuiKotale und damit die Auszeichnung beim diesjährigen Wettbewerb «Wildlife Photographer of the Year» (WPY) bescherte.

Das Bild ist eines von 15 Bildern, die aus den 40.000 Einsendungen aus 93 Ländern heute vom prestigeträchtigen WPY Wettbewerb veröffentlicht wurden. Die Sieger des renommierten Fotowettbewerbs werden am 11. Oktober 2022 bekannt gegeben.

Wenn das Wasser bis zum Hals steht

Ziegler ist preisgekrönter Fotojournalist und am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz tätig. Feldforschung ist dem studierten Tropenökologen wohl vertraut. Nach zahlreichen Einsätzen in den Regenwäldern auf vier Kontinenten ist er mit allen Wassern gewaschen. Aber die Arbeit mit den wilden Bonobos im Wald von LuiKotale waren für den Dschungelveteran dann doch eine besondere Herausforderung. «Um fünf Uhr morgens verlässt man das Camp, um Kontakt mit der Affengruppe aufzunehmen. Um den Tieren zu folgen kämpft man sich durch dichtes Unterholz, watet durch Sümpfe und das nicht selten auch noch im Laufschritt“, sagt Ziegler. 

Die Möglichkeit, wilde Bonobos (Pan paniscus) – eine Menschenaffenart, die nur in der Demokratischen Republik Kongo vorkommt – zu fotografieren, ergab sich durch die enge Zusammenarbeit von Ziegler und der Wissenschaftlerin Barbara Fruth, die ebenfalls am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie arbeitet. Seit 20 Jahren führen Fruth und ihr Mann Gottfried Hohmann im Wald von LuiKotale Langzeitstudien an der seltenen Menschenaffenart durch. 

Es vergingen Jahre, bis sich Bonobos an die Beobachtung durch die Forscher gewöhnten. Heute sind die Menschen, die jeden Morgen am Schlafplatz auftauchen, den Bonobos so vertraut, dass selbst die bedrohlich wirkenden Objektive eines Starfotografen mit einem Gähnen quittiert werden. So konnte sich Ziegler den Tieren ungehindert nähern und es gelangen außergewöhnlich intime Aufnahmen. «Wilden Menschenaffen derart nahezukommen hat schon etwas berührendes“ sagt Ziegler. «Die Nähe zu den intelligenten Tieren, deren Sozialverhalten dem unseren so stark ähnelt, hat etwas Vertrautes – als ob man mit Freunden oder Verwandten beieinandersitzt.“

Die gemeinsamen Streifzüge von Affe und Mensch beginnen mit Sonnenaufgang und dauern an bis zum Einbruch der Nacht: Futtersuche, Fellpflege und gelegentliche Streitereien bestimmen das Tagesgeschehen. Es schien ein Tag wie jeder andere als Ziegler plötzlich den Bonobo mit der Manguste entdeckte. «Als ich den Bonobomann mit einem Tier im Arm sah, traute ich meinen Augen nicht», erinnert er sich. «Was mich am meisten überraschte, war die Umsicht, mit der der Affenmann das Tierkind umhertrug. Sekunden später setze der fotografische Jagdtrieb ein und ich heftete mich an seine Fersen. Mir war klar, dass es sich hier um ein außergewöhnliches Verhalten handelte und ich musste es unbedingt dokumentieren.»

Über eine Stunde hätschelte der Bonobo die Manguste wie einen Artgenossen und Ziegler bekam eine Serie detaillierter Aufnahmen – keine leichte Aufgabe an einem bewölkten Tag im dunklen Wald. «Um die Szene bei so schwachem Licht einzufangen, musste ich einen sehr hohen ISO-Wert von bis zu 25.600 verwenden, was mit Kameras vor zehn Jahren noch nicht möglich gewesen wäre», sagt er.

Eine außergewöhnliche Begegnung

Das Bild ist nicht nur künstlerisch und technisch ein triumphaler Erfolg, sondern dokumentiert eine außergewöhnliche Begegnung zwischen zwei Wildtierarten, die normalerweise in einer Räubere-Beute Beziehung leben. Bonobos ernähren sich zwar überwiegend von Pflanzen, jagen aber auch andere Affen, Waldantilopen und hin und wieder auch Mangusten. «Das Fleisch der Beutetiere wird in der Regel in der Gruppe geteilt», sagt Fruth, die Leiterin der Bonobo-Verhaltensökologie-Gruppe am MPI-AB in Konstanz.

Manchmal bleibt die Beute aber auch am Leben. «Wenn mehrere Beutetiere gleichzeitig gejagt werden, kann es passieren, dass Bonobos, mit einem Tier spielen. Die Ähnlichkeit zu Menschen, die eine Katze oder einen kleinen Hund mit sich herumtragen ist oft verblüffend», sagt sie. In der Regel wird aus dem Spielzeug nach einiger Zeit dann doch wieder ein Beutetier, sagt Fruth und bezweifelt, dass «das spielerische Verhalten als fürsorglich bezeichnet werden kann. » In dem besonderen Fall auf dem Foto ließ das Männchen das Mangustenkind frei. Nach Fruth ein außergewöhnliches Verhalten was möglichweise auch sozial motiviert war. «Es ist durchaus denkbar, dass Bonobos kleine Beutetiere nur deshalb herumtragen, um das Interesse von anderen Gruppenmitgliedern zu wecken. Diese Aufmerksamkeit könnte sich im Endeffekt als Statusgewinn auszahlen, sagt Fruth, die seit mehreren Jahrzehnten wilde Bonobos erforscht.

Forschung und Fotodokumentation - eine überzeugende Partnerschaft

Bonobos und Schimpansen sind unsere nächsten lebenden Verwandten. Durch den gigantischen Kongofluss von anderen afrikanischen Menschenaffen isoliert, hat sich bei Bonobos ein Sozialsystem entwickelt, welches unter nichtmenschlichen Primaten einzigartig zu sein scheint: Weibchen dominieren die Männchen, Männchen halten eine lebenslange Bindung an ihre Mutter aufrecht und physische Aggression wird durch gegenseitige Unterstützung abgepuffert.

Anfang der 2000er Jahre bauten Fruth und Hohmann einige Palmblatt-gedeckte Hütten im Wald von LuiKotale auf, einem unzugänglichen Regenwaldareal im Herzen des Kongobeckens. Inzwischen haben die Forscher komplette Lebenszyklen zahlreicher Mitglieder zweier wildlebender Bonobo-Gruppen erfasst. Weltweit gibt es nur wenige vergleichbare Projekte. Auf Grund seiner langen Dauer gehört das LuiKotale Bonobo Projekt zu den führenden Standorten an denen die seltene Menschenaffenart erforscht wird. Dabei wurden bahnbrechende Entdeckungen gemacht, die ein neues Bild auf eine Primatenart werfen, die uns Menschen besonders ähnlich erscheint.

«Zu sehen, wie Bonobo-Weibchen jagen, Fleisch besitzen und den Austausch unter den Gruppenmitgliedern koordinieren, war eines der beeindruckendsten Ergebnisse, als wir unser Projekt starteten», sagt Fruth. «In einer Welt, die daran gewöhnt ist, dass Menschen- und Tiergesellschaften von Männern regiert werden, war es berauschend, die Dominanz der Frauen in der Wildnis zu dokumentieren. »

Neben den wissenschaftlichen Highlights erfuhren die Wissenschaftler aber auch hautnah, wie groß die Bedrohungen ist, der die seltenen Affen ausgesetzt sind. Wilderei und der Verlust des natürlichen Lebensraums sind besondere Gefahrenquellen. Um wildlebende Bonobos zu schützen, arbeitet das LuiKotale Bonobo Project mit der Naturschutzorganisation Bonobo Alive e.V. zusammen, um gegen die Jagd auf Wildtiere vorzugehen. Ein anderes Aktionsfeld sind soziale Projekte in den Dörfern rund um das Untersuchungsgebiet. Zieglers fotografisches Engagement haben das Potential, auf den bedrohten Satus der Menschenaffen aufmerksam zu machen und weitere Naturschutzprojekte ins Leben zu rufen. Wenn es gelingt, mit Hilfe der spektakulären Aufnahmen die Beobachtungen im kongolesischen Regenwald einem breiten Publikum zugänglich zu machen, könnten die Bilder zu Botschaftern für Forschung und Naturschutz werden.

«Menschen durch aufsehenerregendes Bildmaterial zu fesseln, könnte zum Schlüssel für nachhaltigen Arten- und Naturschutz werden und sowohl dem Fortbestand der Bonobos als auch dem Erhalt des Kongobeckens, einem Naturerbe der ganzen Menschheit, dienen », sagt Meg Crofoot, Primatenforscherin und Direktorin am MPI-AB. «Die meisten von uns werden nie einen wilden Bonobo zu Gesicht bekommen, und so lassen Christians Fotografien uns alle Zeugen einer außergewöhnlichen Tiergesellschaft werden, die versucht, sich in einer sich rasch verändernden Welt zu behaupten. »

Über Christian Ziegler

Christian Ziegler ist Fotojournalist und spezialisiert auf Naturgeschichte und naturwissenschaftliche Themen. Er arbeitet als Fotograf für die Öffentlichkeitsarbeit des Max-Planck-Instituts für Tierverhalten in Konstanz. Christians Ziel ist es, bedrohte Arten und Ökosysteme und deren Schönheit und Bedeutung einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Christians Arbeit wurde bei den Wettbewerben «Wildlife Photographer of the Year» und «European Wildlife Photographer of the Year» mit Preisen belohnt. 2017 wurde er von der renommierten North American Nature Photography Association mit dem «Outstanding Nature Photographer Award» geehrt. In den Jahren 2013, 2014, 2015 und 2016 wurde er mit vier World Press Awards ausgezeichnet.

Über das LuiKotale Bonobo Projekt

Die Projekte, die das Verhalten und die Ökologie freilebender Bonobos in ihrem natürlichen Lebensraum in der demokratischen Republik Kongo untersuchen, kann man an einer Hand abzählen. Das LuiKotale Bonobo Projekt ist eines von ihnen. Bonobos leben in dem von Sümpfen durchsetzten, immergrünen Regenwald, der charakteristisch für das Kongobecken ist. Mit Unterstützung der Max-Planck-Gesellschaft haben Barbara Fruth and Gottfried Hohmann 2002 dieses Projekt ins Leben gerufen. Mittlerweile können sie auf Langzeitdaten zum Verhalten und Ökologie dieser Art blicken, die auf diesem Forschungsgebiet ihresgleichen suchen. Zwei Gruppen sind an menschliche Beobachter gewöhnt. Sie werden täglich von Forscher*innen begleitet, was Einblick in die Lebensgeschichten einzelner Individuen erlaubt. Um diese freilebenden Bonobo-population zu schützen, beteiligt sich das Projekt in enger Zusammenarbeit mit der nationalen Umweltschutzorganisation ICCN, an Anti-Wilderei Patrouillen. Hinzu kommt die Unterstützung sozialer Projekte in nahen gelegenen Dörfern, allesamt Umweltschutz-Initiativen, die von dem Verein Bonobo Alive e.V. gefördert werden.

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