The Internet of Animals

Geschichte und Zukunft eines visionären Forschungsprojekts

29. Februar 2024

In seinem neuen Buch „The Internet of Animals“ erzählt Martin Wikelski die Geschichte von ICARUS – einem internationalen Großprojekt zur wissenschaftlichen Beobachtung von Tierverhalten aus dem Weltraum. Das Buch zeigt außerdem, wie wir Menschen von Tieren lernen können, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten.

Der Grundgedanke ist so logisch wie einleuchtend: Um das individuelle und kollektive Handeln von Tieren zu verstehen, von ihnen zu lernen und ihre zuverlässigsten Entscheidungsprinzipien gar für uns zu nutzen, reicht es nicht aus, einzelne Tiere räumlich und zeitlich begrenzt zu beobachten. Vielmehr muss in vielerlei Hinsicht groß gedacht werden – über Lebensdauern, Art- und Ländergrenzen hinweg und manchmal sogar bis ins Weltall.

Diese Erkenntnis war 2001 die Geburtsstunde von ICARUS, der „International Cooperation for Animal Research Using Space“. Doch es sollte fast 20 Jahre dauern, bis im September 2020 mit ICARUS tatsächlich ein weltraumbasiertes Tierbeobachtungssystem den wissenschaftlichen Betrieb aufnahm – als gemeinsames Projekt des Max-Planck-Instituts (MPI) für Verhaltensbiologie und der Universität Konstanz in Kooperation mit der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Zu verdanken ist dies dem Engagement Martin Wikelskis, der das Projekt initiierte und unermüdlich vorantrieb. Er ist geschäftsführender Direktor des MPI für Verhaltensbiologie und Honorarprofessor an der Universität Konstanz.

Forschungsanekdoten aus erster Hand
In einem erzählerischen Sachbuch beschreibt Wikelski nun die Geschichte des ICARUS-Projekts, das als große Vision einer Handvoll befreundeter Forschender in einem kleinen Dorf in Panama seinen Ursprung nahm und inzwischen Realität ist. In „The Internet of Animals: Was wir von der Schwarmintelligenz des Lebens lernen können“ berichtet er aus erster Hand über die Ursprünge und Entstehung des Projekts sowie den Durchbruch für die Verhaltensforschung, den der Start von ICARUS bedeutete. Zusätzlich vermittelt das Buch auf leichtverständliche Art überraschende Fakten über verschiedenste Tiere, von denen wir bisher glaubten, sie gut zu kennen.

So legt Wikelski in dem Buch unter anderem dar, wie Landvögel über Hunderte von Kilometern Ozeane überwinden, welch enorme Distanzen Bienen zurücklegen, um Blütenstaub zu transportieren, und ob Elefanten einen nahenden Tsunami erkennen. Er schildert faszinierende Erlebnisse rund um den Globus mit Libellen und Füchsen, Seelöwen, Meerechsen, Walhaien und Nashörnern und zeigt, wie uns Wissen über das Verhalten von Tieren dabei helfen kann, unsere eigenen Lebensgrundlagen zu erhalten.

„Dieses Buch ist meine Art, die uns abhandengekommene Verbindung zur Tierwelt und dem darin enthaltenen Wissen wiederzubeleben“, so Wikelski. „Wir alle haben unsere Erfahrungen mit Tieren – seien es Haustiere oder andere Tiere. Indem ich wissenschaftliche Erkenntnisse und diese alltäglichen Erfahrungen zusammenbringe, möchte ich zeigen, wie nahe unsere beiden Welten beieinanderliegen und wie viel wir von Tieren lernen könnten, wenn wir nur zuhören würden – bzw. könnten.“

Internationale Zusammenarbeit in herausfordernden Zeiten
Auch die Geschichte von ICARUS selbst bleibt spannend – denn ein internationales Kooperationsprojekt dieser Größenordnung ist nicht nur schwer auf die Beine zu stellen, es unterliegt auch den Entwicklungen des politischen Weltgeschehens. So übermittelten nach dem Start des ICARUS-Projekts im Jahr 2020 leichte, an Tieren angebrachte Sensoren ihre Daten zunächst an eine Antenne und Computer auf dem russischen Modul der Internationalen Raumstation ISS, bevor sie von dort zu den Forschenden gelangten. Diese Zusammenarbeit mit Roskosmos ermöglichte es, das Verhalten und die Wanderungen von Tausenden von Tieren auf der ganzen Welt zu beobachten – sogar an schwer zugänglichen Orten wie über Ozeanen, in Wüsten und in Regenwäldern. Als jedoch im März 2022 der russische Krieg gegen die Ukraine begann, musste die Partnerschaft zwischen der deutschen und der russischen Raumfahrtbehörde eingestellt werden – das unerwartete, zwischenzeitliche Aus für ICARUS.

Doch die Erfolgsgeschichte von ICARUS wird fortgeschrieben: Das Projekt wird auf Basis von Satelliten anstelle der ISS weitergeführt. Die gesamte Technik eines neuen Empfängersystems konnte auf einem kleinen Satelliten – einem sogenannten CubeSat – untergebracht werden. Bereits im Juni 2023 startete ein solcher CubeSat von Kalifornien aus ins All. Mit ihm wird das ICARUS-Team in den nächsten Monaten wichtige Tests durchführen. 2025 soll dann mit dem neuen Empfängersystem die zweite ICARUS-Generation gestartet werden. Das Ziel: ein „Internet der Tiere“ etablieren, das Auskunft darüber gibt, wie sich Ökosysteme und das Klima verändern und wie die Tiere auf diese Veränderungen reagieren – um aus diesem riesigen Schatz an Informationen zu lernen.

„Migration im Tierreich ist weniger durch genetische Veranlagung bestimmt als durch erlerntes Wissen. Wie Insekten, Raubkatzen oder Meeressäuger sich bewegen, untereinander kommunizieren und agieren, hat das Potenzial, die Zukunft unseres Planeten zu verändern“, so Wikelski. Er ist überzeugt: Dank des „Internets der Tiere“ werden wir in der Lage sein, besser mit dem Klimawandel umzugehen, uns vor Naturkatastrophen zu schützen oder den Wildtierhandel sowie die Ausbreitung von Krankheiten einzudämmen – und somit nicht nur den Artenschutz, sondern unser aller Leben auf der Erde zu verbessern.

Faktenübersicht:

  • Neues erzählerisches Sachbuch von Martin Wikelski über die Geschichte des ICARUS-Projekts
  • 2025 soll mithilfe von Satelliten der wissenschaftliche Betrieb der zweiten ICARUS-Generation starten.
  • Das neue ICARUS-System wird von der Max-Planck-Gesellschaft gefördert. Gebaut wird es von TALOS und neosat. Die Weltraum-Mission 2025 von ICARUS wird in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum SPACE der Universität der Bundeswehr München (UniBW) und dem Münchner Startup OroraTech durchgeführt.
  • Martin Wikelski ist Direktor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Honorarprofessor an der Universität Konstanz. 2021 erhielt er den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg – unter anderem für seine Verdienste um die Wissenschaftskommunikation.
  • Am 20. März 2024 wird Wikelski ab 19:00 Uhr in der Buchhandlung Osiander Konstanz (Kanzleistraße 5, 78462 Konstanz-Altstadt) eine Lesung halten.

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