Migrierende Tiere lernen durch Erfahrung
Erkundungen in jungen Jahren helfen Störchen, geradere und kürzere Zugrouten zu lernen
Forschungen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie (MPI-AB) und des Exzellenzclusters Kollektives Verhalten an der Universität Konstanz zeigen, dass ziehende Störche ihr Verhalten mit zunehmendem Alter verfeinern. Das deutet darauf hin, dass Lernen aus Erfahrung ein wichtiger Bestandteil einer erfolgreichen Migration ist. Während Genetik und Sozialverhalten wichtige Faktoren für die Wanderungen von Tieren sind, scheinen auch Informationen, die im Laufe des Lebens gelernt werden, die Wanderbewegungen zu steuern. Die Ergebnisse werden heute in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.
Im Rahmen der von Ellen Aikens, mittlerweile Assistant Professor an der University of Wyoming, USA, geleiteten Studie wurden über 250 Weißstörche aus Süddeutschland und Österreich beobachtet. Über einen Zeitraum von sieben Jahren wurden kontinuierlich Daten von den Störchen gesammelt, während sie im Herbst über die westliche Flugroute von Europa nach Nordafrika und im Frühjahr wieder zurückflogen. Die Forscher*innen nutzten die Daten, um zu ermitteln, wann die Störche ihren Zug durchführten, welche Wege sie nahmen und wie viel Energie sie während des Fluges verbrauchten. Auf diese Weise konnten sie beurteilen, wie sich das Zugverhalten im Laufe des Lebens eines Tieres verändert.
„Wir liefern den bisher stärksten Beweis dafür, dass die Erkundungen in den frühen Lebensjahren die Migration im späteren Leben prägt“, sagt die Autorin Andrea Flack, eine Gruppenleiterin am MPI-AB.
Das Team fand heraus, dass Jungstörche sich bei der Erkundung neuer Orte während des Zuges Zeit lassen, während ihre Züge mit zunehmendem Alter schneller und effizienter werden.
„Bei ihrem ersten Zug fliegen junge Vögel Routen, die länger dauern, aber weniger Energie kosten“, sagt Erstautorin Aikens, die die Forschung als Postdoktorandin am Exzellenzcluster Kollektives Verhalten in Deutschland durchführte.
Mit zunehmender Erfahrung begradigten einzelne Störche ihre Zugrouten schrittweise, um so während des Frühjahrszuges entlang direkterer Routen zu den sommerlichen Brut- und Nistplätzen zu gelangen. Obwohl die Vögel bei diesen Flügen mehr Energie verbrauchten, war die Gesamtzeit, die sie benötigten, um ihr Ziel zu erreichen, geringer.
„Dies deutet darauf hin, dass die Vögel ihr räumliches Gedächtnis, das sie durch Lernen erworben haben, nutzen, um Abkürzungen zu finden“, sagt Aikens. Die Ergebnisse könnten Auswirkungen auf eine Vielzahl anderer Arten von Zugtieren haben.
Die Forscher schließen die Bedeutung der Genetik und „kulturell vererbter Informationen“ als Mechanismen bei Tierwanderungen nicht aus, aber sie sagen, dass die neuen Ergebnisse auf individuelle Erfahrungen als weiteren Schlüsselfaktor hinweisen.
„Wenn wir an Tierwanderungen denken, denken wir normalerweise an Zeit und Energie als die einflussreichsten Faktoren“, sagt Flack. „Aber die Landschaften, durch welche die Tiere wandern, sind komplex und dynamisch, und wenn Tiere lernen, günstige Bedingungen zu nutzen, sparen sie sowohl Zeit als auch Energie. Unsere Studie zeigt, dass die Gewinnung von Informationen und deren Nutzung zur schrittweisen Verfeinerung des Verhaltens eine starke Triebkraft für lebenslange Wanderungen ist.“