Wieso? Weshalb? Warum?

ICARUS – Tierbewegungen beobachten und die Welt verstehen

10. Januar 2022

Der neue Band „Wieso? Weshalb? Warum? Alles über Tierwanderungen“ ermöglicht Kindern ab vier Jahren spannende Einblicke ins Thema Tierwanderungen und veranschaulicht mit Hilfe von detaillierten Bildern, fundiertem Sachwissen und Entdecker-Klappen die weiten Strecken und unterschiedlichen Ziele der Tiere. Uschi Müller, Koordinatorin des Projekts ICARUS am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz, gibt im Gespräch Einblick in die Erforschung von globalen Wanderbewegungen von Tieren.

Nachdruck mit Genehmigung von Ravensburger News

Was fasziniert Sie an Tierwanderungen?

Im Prinzip bin ich generell fasziniert, wie weit selbst kleine Singvögel in der Lage sind, jedes Jahr zu wandern. In der Regel meistern sie die langen Strecken gleich zweimal im Jahr und das zum Teil durch gefährliche Gebiete, wie zum Beispiel trockene Wüsten oder über große, offene Gewässer und Ozeane. Durch die von uns zur Beobachtung von Tieren neu entwickelte Technologie, können wir immer mehr über die Entscheidungen, die selbst kleine Tiere auf ihren Wanderungen treffen, erfahren. Wo wandern sie, welche Gebiete lieben und besuchen sie besonders gern und wann, wo und warum sterben sie - das sind nur einige der vielen Fragen, die wir mit der Beobachtung von wandernden Tierarten nach und nach beantworten. Das tierische Wissen kann uns zukünftig helfen, Vorschläge zur Lösung von Umweltproblemen, Krankheitsverbreitungen, drohenden Naturkatastrophen oder Erntevernichtung anzubieten. 

Haben Sie sich schon immer für Tiere interessiert? Und wie kamen Sie zur Spezialisierung auf Tierwanderungen?

Wie die meisten Kinder, liebe auch ich Tiere. Ich hatte als Kind Schildkröten, Wellensittiche, Hamster und so weiter zu Hause. Heute ist eine weiß-schwarze Katze namens Luna mein Liebling. Zu Tierwanderungen kam ich aufgrund meiner Arbeit bei Max-Planck für Verhaltensbiologie in Konstanz und Radolfzell. Seit 2011 koordiniere ich für die Abteilung „Animal Migration“ von Prof. Martin Wikelski und sein wissenschaftliches Team das deutsch-russische ICARUS Projekt. Hier geht es um die Beobachtung von Tieren mittels eines neu entwickelten Kommunikationssystems Page 1/4 über Satellit, mithilfe einer großen Sende- und Empfangsantenne, die am russischen Modul der ISS-International Space Station angebracht ist. Die Tiere sammeln über Minisender ihre Wanderund Bewegungsdaten. Diese werden zur ISS geschickt, von wo sie über eine Bodenstation in die Movebank, eine internationale Datenbank zur wissenschaftlichen Analyse, eingepflegt werden.

Warum ist es wichtig, Kindern das Thema „Tierwanderungen“ und die Gründe für das Verhalten der Tiere nahe zu bringen?

Kinder können von den Wanderungen und vom Verhalten der Tiere sehr viel lernen: Sie werden die Natur und unsere Umwelt durch die Tiere besser kennen- und verstehen lernen. Über die kostenfreie AnimalTracker App haben alle interessierten Bürger, also auch Kinder, Zugriff zu den erhobenen Wanderdaten und können die Tiere digital beobachten, aber auch im Feld suchen, ihre Beobachtungen teilen und Bilder schicken. Wandernde Tiere bereisen jeden noch so entfernten und abgelegenen Winkel der Erde – sie können für Kinder zu Botschaftern aus fernen Welten werden, zu ´wilden Haustieren´, zu ´Brieffreunden´, die ihre Erfahrungen aus der großen weiten Welt teilen. So zeigen sie den Kindern, wo es besonders nötig ist, unsere Welt zu schützen und Rücksicht zu nehmen.

Woran forscht das ICARUS- Team zur Zeit?

Unser Team forscht an unterschiedlichsten Themen zum Tierverhalten mit internationalen wissenschaftlichen Gruppen auf der ganzen Welt, Kontinent-übergreifend. Genauso wie auch die Tiere mit ihren Wanderungen Kontinente verbinden. Unsere Forschungsthemen beschäftigen sich u.a. mit Fragen zur Krankheitsverbreitung (Vogelgrippe, Ebola, etc.), Samenverbreitung durch Flughunde, Artenschutz (Nashörner in Südafrika), Höhenmigrationen (Schwarzhalskraniche, Schneetauben und Schneegeier in Bhutan), mögliche Vorhersage von Naturkatastrophen wie Erdbeben (Süditalien, Chile), Vulkanausbrüche (Sizilien), Hurricans (Mexiko, Cuba), und vieles mehr.

Gibt es ein bestimmtes Schema, nach dem Sie vorgehen, wenn Sie Tiere beobachten?

Ja, wir statten Tiere mit kleinen Sendern aus, die sie entweder als winzigen Rucksack auf dem Rücken oder als kleinen Knopf im Ohr oder in einem Hals- oder Fußband tragen. Diese Sender können Wander- und Bewegungsdaten aufzeichnen und entweder über ein terrestrisches System oder via Satellit in unsere Movebank zur Auswertung schicken.

Was ist Ihnen besonders wichtig an Ihrer Arbeit?

Dass die von uns besenderten Tiere so wenig wie möglich belastet werden und dass die durch ihre Mithilfe gesammelten Daten der gesamten wissenschaftlichen Gemeinde für ihre Forschungen zur Verfügung stehen, und für immer aufbewahrt werden in einem digitalen Museum. Umgekehrt haben die Wissenschaftler die Verpflichtung, die Daten der Tiere für zukünftig bessere und umsichtigere Lösungen der Probleme auf der Erde zu nutzen, z.B. auch für den verbesserten Schutz der Tiere.

Welche Tierart beeindruckt Sie besonders mit ihrem Wanderverhalten?

Es gibt unzählige Beispiele für beeindruckende Wanderungen im Tierreich und ihre Geschichten zu den einzelnen Individuen, dass es mir schwer fällt, mich für eine Tierart zu entscheiden. Sicherlich beeindrucken mich die Weitstreckenzieher, wie z.B. die Küstenseeschwalbe, die im Jahr eine Strecke zurücklegt, die der Umrundung des Globus entspricht. Ich kenne diese lustigen und wilden Gesellen sehr gut aus Island, wo sie in großen Kolonien brüten.

Reisen Sie viel durch Ihren Beruf? Welcher Ort hat Sie besonders fasziniert?

Nun, in den letzten beiden Jahren wurden unsere Reiseaktivitäten aufgrund der Corona Pandemie stark eingeschränkt. Trotzdem war es uns möglich, einige Feldarbeiten im internationalen Ausland unter Berücksichtigung der geltenden Ein- und Ausreiseregularien durchzuführen. So haben wir im letzten Jahr z.B. Truthahngeier in Cuba, Rotfußfalken in Ungarn, Ziegen am Ätna auf Sizilien, Rußseeschwalben auf Bird Island, Seychellen, Nashörner, Zebras, Gnus, Wildhunde, u.a. in Südafrika mit der neuesten Technologie besendern können. Besonders fasziniert war ich im letzten Jahr von den Brutkolonien der Rußseeschwalben, die mit zig-tausenden Paaren im sandigen Boden der kleinen Vogelinsel im Indischen Ozean brüten und dabei so einen Lärm machen, dass man sich nur mit Ohrstöpseln aufhalten kann.

Welches Erlebnis werden Sie so schnell nicht vergessen?

Eines der vielen wundervollen Erlebnisse, die wir im letzten Jahr erfahren durften, war die Rettung eines Nashorns in einem der südafrikanischen Nationalparks. Das Nashorn war von Wilderern angeschossen worden und hatte eine schwere Verletzung. Die Gewehrkugel steckte noch im Rücken des Tieres und verursachte eine schwere Entzündung. Wir konnten das Tier über einen elektronischen, sogenannten Ohrentag finden, mit Hilfe des örtlichen Tierarztes betäuben und von der Gewehrkugel befreien. Die Wunde wurde medizinisch versorgt und ist mittlerweile gut verheilt. Es war sehr schön zuzusehen als das verarztete Nashorn nach der Operation wieder aufwachte und in den Busch davontrabte.

Weitere Informationen zum ICARUS-Projekt und einen Überblick über die verschiedensten Projekte findet man hier.

Wieso? Weshalb? Warum? Alles über Tierwanderungen Ab 4 Jahren, von Christine Pätz und Anne Ebert, 16 Seiten, ISBN: 978-3-473-60019-9, € [A] 15,50 / SFr. 19.90 / € [D] 14,99

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