Warum sind Innovationen wie Werkzeuggebrauch so verbreitet auf Inseln?

Im Gegensatz zu ihren Verwandten auf dem Festland benutzen die Panama-Kapuzineraffen (Cebus imitator), die auf den Inseln Jicarón und Coiba leben, regelmäßig Steinwerkzeuge. Dies ermöglicht den Kapuzineraffen Wirbellose, neue Früchte und Nüsse auf ihren Speiseplan aufzunehmen. Aber wie und warum entwickeln nur wenige Gruppen von Kapuzineraffen im Coiba Archipel diese Tradition? Über alle Arten hinweg sehen wir, dass der Werkzeuggebrauch auf Inseln überrepräsentiert ist. Welche ökologischen Aspekte des Insellebens machen den Nationalpark Coiba zu dem einzigen Ort auf der Welt, an dem Kapuzineraffen der Gattung Cebus Steinwerkzeuge benutzen?


Unser ISLaS (Innovation and Social Learning across Space) Team untersucht unter der Leitung von Brendan Barrett kulturelle Traditionen wie die Verwendung von Steinwerkzeugen in Zusammenarbeit mit Paläoanthropologen, Archäologen und Genetikern von der UC Davis, der UCLA und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Unser Ziel ist es, die Evolution, die treibenden Kräfte der Innovation und die Weitergabe des Werkzeuggebrauchs zu verstehen. Wir untersuchen diese Bereiche bei inselbewohnenden Kapuzineräffchen mit non-invasiven Beobachtungsmethoden, einschließlich bewegungsgesteuerter Kameras und genetischer Probennahme aus Haarfallen. Aus einer breiteren taxonomischen Perspektive betrachtet ist der Werkzeuggebrauch bei inselbewohnenden Arten ungewöhnlich häufig. Welche Aspekte der Inselökologie machen diese isolierten Orte zu Brutstätten kultureller Innovation? 

Was verhindert die Verbreitung der Fähigkeit des Werkzeuggebrauchs unter den Gruppen?

Wir wollen verstehen, warum nur einige Gruppen von Kapuzineraffen auf diesen Inseln Werkzeuge benutzen und andere nicht, obwohl sie Zugang zu den erforderlichen Ressourcen haben. Was sind die Hürden für die Weitergabe dieser Fähigkeit? Warum scheinen nur Männchen Steinwerkzeuge zu benutzen? Eine faszinierende Vermutung ist, dass weibliche Kapuzineraffen auf dem Coiban-Archipel das sich ausbreitende Geschlecht sein könnten. Da die Weibchen keine Werkzeuge zu benutzen scheinen, könnte eine solche Umkehrung der Philopatrie erklären, warum die Tradition der Werkzeugnutzung auf eine kleine Anzahl von Gruppen beschränkt bleibt und sich nicht in der gesamten Population verbreitet hat. Um diese Fragen zu beantworten, untersuchen wir größere Gebiete und analysieren die genetische Verwandtschaft innerhalb und zwischen den Gruppen. 

Was fördert Innovationen?

Warum entwickeln Inselpopulationen häufig Traditionen in der Werkzeugnutzung? Über alle Taxa hinweg finden wir bei Inselpopulationen im Vergleich zu ihren Verwandten auf dem Festland eine höhere Inzidenz von Innovationen bei der Nahrungssuche und der Verwendung von Werkzeugen. Neukaledonische Krähen bilden zum Beispiel Haken, um in Felsspalten zu suchen, und inselbewohnende Populationen von Langschwanzmakaken in Thailand verwenden axtförmige Steine, um Muscheln zu knacken

Erklärungen für dieses Muster könnten die vergleichsweise begrenzten Nahrungsressourcen auf den Inseln, die saisonale Trockenheit und der Zugang zu hartschaligen Nahrungsressourcen in der Gezeitenzone sowie zu geeigneten Werkzeugmaterialien sein. Die hohe Populationsdichte und der Konkurrenzdruck könnten ebenfalls eine Rolle dabei spielen, dass die Individuen neuartige Futtersuchstrategien verfolgen. 

Auf den Inseln Jicarón und Coiba sind Kapuzineraffen keinen Säugetierräubern ausgesetzt, was es ihnen erlaubt, die terrestrische Nische sicher zu nutzen. Ausgehend von Kamerafallenerhebungen werden die hiesigen Gruppen von Kapuzineraffen 200-mal häufiger auf dem Boden beobachtet als ihre Artgenossen auf dem Festland, die mit terrestrischen Raubtieren wie Ozelots, Pumas und Jaguaren zu kämpfen haben. Der bessere Zugang zum Erdboden und die größere Sicherheit auf dem Boden könnten erklären, wie die Traditionen der Werkzeugbenutzung entstanden sind - aber Ursache und Wirkung bleiben unklar. Wurden diese Primaten aufgrund der geringen Verfügbarkeit von Ressourcen und/oder der hohen Bevölkerungsdichte in die terrestrische Nische getrieben? Oder erlaubt ihnen die Sicherheit am Boden, ihre Nahrungsnische durch die Innovation von Werkzeuggebrauch zu erweitern?

Ursprünge menschlicher Kultur verstehen

Das Leben auf dem Boden statt in den Baumkronen ist ein wichtiger Schritt in der menschlichen Evolution. Lange Zeit dachte man, dass der Gebrauch von Werkzeugen das entscheidende Merkmal des Menschen sei. Jetzt wissen wir, dass wir bei weitem nicht allein sind: Viele andere Tiere benutzen ebenfalls Werkzeuge. Was können sie uns darüber lehren, wer wir als Spezies sind? Das übermäßige Zurückgreifen auf soziales Lernen und den Gebrauch von Werkzeugen ist von zentraler Bedeutung für unsere evolutionäre Entwicklung. Es erklärt zum Teil, warum die Menschen - langlebige, sich langsam fortpflanzende Affen - in unzähligen Ökosystemen so erfolgreich waren. Vergleichende Studien über soziales Lernen und kulturelle Traditionen bei nicht-humanen Tieren heben die Gemeinsamkeiten und Kontraste hervor, die unser Verständnis der menschlichen Evolution prägen. Kapuzineräffchen und Menschen haben sich vor etwa 38 Millionen Jahren von unserem letzten gemeinsamen Vorfahren abgespalten. Wie der Mensch haben sie eine langsame Lebensentwicklung, einschließlich einer verlängerten Jugendphase, sind sehr kooperativ und verlassen sich auf soziales Lernen und Kultur.  Diese Ähnlichkeiten machen Kapuzineraffen zu einem idealen Vergleichssystem um die menschliche Evolution zu verstehen.

Fossile Steinwerkzeuge geben uns einen Einblick in die Art und Weise, wie unsere Vorfahren in der frühen Steinzeit mit Hilfe von Schlagtechniken Nahrung extrahieren konnten. Allerdings können wir keine direkten Beobachtungen des Verhaltens der frühen menschlichen Werkzeugnutzung machen, was die Gewissheit darüber einschränkt, wie Artefakte verwendet wurden und wie sich die Werkzeugnutzung vor zwei Millionen Jahren entwickelte.
Da Verhalten und Ressourcenverteilung nicht in fossilen Überresten erhalten sind, könnte die "Live-Beobachtung" des Werkzeuggebrauchs der Kapuzineraffen Aufschluss über das Verhalten der frühen Homininen geben. Insbesondere können wir durch die Zuordnung des Kapuzinerverhaltens zur Stein- und Schuttanhäufung an Ambossen verstehen, welche Stellen wahrscheinlich erhalten oder ausgelöscht werden, und wir können Verzerrungen in der Erhaltung besser verstehen und archäologische Funde besser interpretieren.

Methoden

Da das Forschungsgebiet schwer zugänglich ist und die Kapuzineraffen nicht an menschliche Beobachter gewöhnt sind, müssen wir kreative Ansätze entwickeln, um die Evolution des Werkzeuggebrauchs zu untersuchen - einschließlich indirekter Beobachtung und modernster Berechnungsmethoden.
Wir führen nicht-invasive genetische Probenahmen mit Haarfallen durch, um die sozialen Systeme der Gruppen besser zu verstehen. Genetische Daten geben Aufschluss über die Demografie, die Populationsdynamik, wie z. B. das Umsiedeln von Individuen zwischen den Gruppen, und die Evolutionsgeschichte der Tiere.

Wir katalogisieren verwendete Werkzeuge und stellen Bewegungssensor-Kamerafallen auf, um das Verhalten bei der Werkzeugnutzung zu beobachten. Durch die Anwendung von Deep-Learning-Ansätzen entwickeln wir konvolutionale neuronale Netzwerke, die Individuen anhand von Kamerafallenaufnahmen erkennen können. Daraus können wir erkennen, welche Individuen Werkzeuge nutzen, und ermöglicht uns Wege der Weitergabe von Kultur und sozialem Lernen zu verstehen, sowie den vorherrschenden männlichen Bias und Unterschiede zwischen Gruppen bei der Werkzeugnutzung nachzuvollziehen. 

Um unser Verständnis darüber zu erweitern, was kulturelle Übertragung und Verhaltensvielfalt fördert, entwickeln wir theoretische Modelle, die erklären, welche besonderen Aspekte der Inselökologie Innovationen bei der Nahrungssuche bewirken. Wir wollen unsere Modelle empirisch in einem vergleichenden Kontext innerhalb und zwischen den Arten testen, sowohl an werkzeugnutzenden Populationen auf dem Archipel als auch an Populationen ohne Werkzeuggebrauch auf dem Festland. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit Susan Perry von der UCLA an Kapuzineraffen, sowie mit Lydia Luncz vom MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig an anderen werkzeugnutzenden Primaten, die einige der gleichen Nahrungsmittel verarbeiten, wie z.B. an Langschwanzmakaken.

Naturschutz

Der Erhalt von Lebensräumen, Arten und Kultur ist für uns von großer Bedeutung. Unser Ziel ist es, die Artenvielfalt des Nationalpark Coiba zu dokumentieren, und wir werden unsere Kamerafallendaten öffentlich zugänglich machen. Dies wird die Katalogisierung und Erforschung der Artenvielfalt dieses wenig untersuchten Archipels unterstützen. Wir hoffen, die Bedeutung der Schutzbemühungen dieses UNESCO-Weltnaturerbes hervorzuheben, das einer Reihe von bedrohten und endemischen Tier- und Pflanzenarten einen sicheren Raum bietet. Zunehmende Anerkennung findet auch die Bedeutung der Erhaltung der Kultur- und Verhaltensvielfalt - sowohl um ihrer selbst willen, als auch um zu verstehen, wie die Kultur den Tieren hilft, auf die sich verändernde Umwelt zu reagieren. Die Dokumentation dieses Verhaltens und die weitere Erforschung des Nationalpark Coiba in Zusammenarbeit mit lokalen Forschern ist wichtig, um unsere Geschichte zu verstehen, sowohl der Vergangenheit als auch der Zukunft.

Weiterführende Literatur & Zitierte Artikel

Habitual stone-tool-aided extractive foraging in white-faced capuchins (2018)

White-Faced Capuchin, Cebus capucinus imitator, Hammerstone and Anvil Tool Use in Riparian Habitats on Coiba Island, Panama (2020)

Increased terrestriality in a Neotropical primate living on islands with reduced predation risk (2020)

 Mehr über Kapuzineraffen

How to be a monkey

Lomas Barbudal Monkey Project

Ressourcen

Data and code for graphing and analysis of Hammerstone and Anvil Tool Use in Riparian Habitats on Coiba Island, Panama (2020)

Data and scripts to assess patterns of terrestrial behavior in white-faced capuchin monkey on islands with reduced predation risk (2020)

 

Geschrieben von Bianca Schell, Wissenschaftliche Autorin & Webredakteurin, Abteilung für Ökologie der Tiergesellschaften

Fotos von Brendan Barrett, Claudio Monteza-Moreno und Christian Ziegler

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