Clevere Vögel brauchen fürsorgliche Eltern

Eine vergleichende Studie von über tausend Vogelarten kommt zum Ergebnis: Für die Gehirngröße eines Vogels ist entscheidend, wie viel Energie die Eltern in ihre Jungvögel investieren.
 

10. Januar 2023

Das Team um den Verhaltens- und Evolutionsbiologen Michael Griesser von der Universität Konstanz und dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie hat untersucht, welche Rolle der elterlichen Versorgung der Jungtiere bei der Entwicklung und der Evolution der Hirngröße zukommt. Anhand von 1.176 Arten haben die Forschenden verglichen, wie viel Energie die jeweiligen Elternvögel in die Aufzucht ihres Nachwuchses stecken. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) nachzulesen.

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Unter den rund 10.000 Vogelarten ist die Größe des Gehirns im Verhältnis zur Körpergröße sehr unterschiedlich. Relativ zur Körpergröße ist das Gehirn von Krähenvögeln, Papageien oder Eulen sehr viel größer als das von Enten, Gänsen oder Hühnervögeln. Gehirne brauchen jedoch sehr viel Energie. Diese kann auch nicht runtergefahren werden, es ist ein konstanter Energiefluss notwendig. Hinzukommt, dass große Gehirne viel Zeit benötigen, um ihr volles Potenzial zu erreichen. Entsprechend wären Jungvögel vollständig überfordert damit, diesen Energiebedarf selbst aufzubringen.

Welche Rolle spielt die elterliche Versorgung?

Das Team um den Verhaltens- und Evolutionsbiologen Michael Griesser von der Universität Konstanz und dem Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie hat untersucht, welche Rolle der elterlichen Versorgung der Jungtiere bei der Entwicklung und der Evolution der Hirngröße zukommt. Anhand von 1.176 Arten haben die Forschenden verglichen, wie viel Energie die jeweiligen Elternvögel in die Aufzucht ihres Nachwuchses stecken. Die Ergebnisse sind in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) nachzulesen.

Vom Strauß bis hin zum Sperling, über alle Stammbaumlinien hinweg, haben sie sich die Größe von Gelegen, die Masse der Eier sowie den Zeitraum angeschaut, in dem die Eltern ihre Jungen im Nest und danach mit Nahrung versorgen. Nestflüchter wie Strauße, Hühner, Gänse und Enten haben große Gelege und große Eier. „Damit ist aber auch schon Schluss mit der elterlichen Energiezufuhr“, macht Michael Griesser klar. Bereits kurz nach dem Schlüpfen verlassen die Küken das Nest und picken ihr Futter selbst.

Dagegen kommen Nesthocker wie Sperlinge, Papageien oder Krähenvögel als Embryo zur Welt. „Das Gehirn, das bereits nach dem Schlüpfen funktionieren muss und schon fertig ist, ist neuronal anders aufgebaut als das Gehirn bei den Nesthockern, das noch wachsen muss“, sagt der Verhaltensbiologe. Nesthocker-Jungvögel müssen gefüttert werden und brauchen mehrere Wochen, bis sie ausgewachsen sind. Oft wird der Vogel-Nachwuchs sogar dann noch gefüttert, wenn er bereits das Nest verlässt. Zunächst muss das Gehirn aber nur insofern funktionieren, als der Jungvogel wachsen kann und mit ihm das Gehirn selbst.

Entscheidend für die Gehirngröße ist die Energiezufuhr der Eltern

In ihrer vergleichenden Studie auf der Grundlage von Datensätzen und Literatur kommen die Forschenden zum Ergebnis: Entscheidend für die Größe des Gehirns ist, wie viel Energie die Eltern wie lange den Jungen zuführen. Dabei sind die beiden Faktoren Eiergröße und aktives Füttern der Jungtiere nach dem Schlüpfen bestimmend. „Das löst das energetische Problem der Jungvögel: Speziell große Gehirne wachsen auf Kosten der Eltern“, so Michael Griesser. Das Wachstum von Jungvögeln benötigt viel Energie, insbesondere das Gehirnwachstum. Ohne elterliche Energiezufuhr wären die Jungtiere nicht imstande, sich das Wachstum ihrer großen Gehirne zu leisten. Die relativ größten Gehirne haben Krähenvögel, die das Hauptforschungsgebiet des Biologen darstellen. Daneben gelten auch Papageien, Eulen und Greifvögel als besonders clever.

Eine Vielzahl von Studien zeigte, dass mit dem größeren Gehirn eine allgemeine höhere Intelligenz der Vögel einhergeht. Die Module der Entscheidungsfindung sind größer, insofern können diese Vögel bessere Entscheidungen treffen. Sie können zum Beispiel besser Futterquellen erschließen und sich auch nach einer bestimmten Zeit noch an sie erinnern. Im Gegensatz zu einer einseitigen Intelligenz wie etwa bei Fischen handelt es sich bei Vögeln (und Säugetieren) um eine Kombination aus verschiedenen Intelligenzkomponenten. Folglich haben Vogelarten mit größeren Gehirnen bessere Chancen, sich in neuen Umwelten zurechtzufinden, überleben besser und haben höhere Populationsstabilität, was es, so die Hoffnung, cleveren Arten ermöglicht, sich auch dem Klimawandel anzupassen.  

Die Resultate dieser Studie könnten auch Unterschiede in der Gehirngröße bei anderen Tiergruppen erklären. Der elterliche Energiebeitrag ist bei Fischen, Amphibien und Reptilen meistens auf die Eier beschränkt. Diese Gruppen haben viel kleinere Gehirne als Vögel oder Säugetiere. Die lange Versorgung durch die Eltern scheint also generell eine Voraussetzung für die Evolution großer Gehirne zu sein, wie auch bei den Menschen zu sehen ist. „Vieles deutet darauf hin, dass sich die beiden Merkmale gemeinsam entwickelt haben und dass nur Linien mit der Fähigkeit, Jungtiere länger mit Nahrung zu versorgen, die Möglichkeit haben, größere Hirne zu evolvieren“, so Michael Griesser. 

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