Was würden Sie mit 2,5 Millionen Euro machen? Ein Haus kaufen, in den Urlaub fahren, ausgiebig in Paris shoppen? Iain Couzin kann sich diese Frage nun stellen – aber mit einer Einschränkung: Das Geld fließt in seine Forschungsarbeit.

Couzin ist Verhaltensbiologe. Er forscht an der Universität Konstanz und am Max-Planck-Institut in Radolfzell und ist seit kurzem Preisträger des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises 2022. Der Preis ist mit bis zu 2,5 Millionen Euro dotiert.

„Erfassung von Bewegungsmustern“

Iain Couzin, der ursprünglich aus Großbritannien kommt, hat den Preis für seine „herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Verhaltensbiologie, die zu einem grundlegend neuen Verständnis von kollektivem Verhalten geführt haben“ erhalten. Der Wissenschaftler kombinierte in seinen Forschungsarbeiten „bereits früh modernste Techniken für die automatisierte Erfassung von Bewegungsmustern“. Dazu habe er „maschinelle Lernalgorithmen bis hin zu computergestützten Modellen“ genutzt. So die Begründung der Jury.

Die Bewertung birgt jedoch mehr Fragezeichen als Antworten. Was hat Iain Couzin denn nun wirklich gemacht? Übersetzt heißt das nichts anderes als: Er hat Tiere beobachtet. Vögel, Fische, Insekten. Viele Tiere. Schwärme und Kolonien. Aber nicht mit dem bloßen Auge. Er hat dazu Technik und Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt.

  • Wie alles angefangen hat: Sehr einfach. Der Forscher hat ein Video von Ameisen gemacht, es viele unzählige Male abgespielt und jedes Mal eine andere Ameise verfolgt. Das war mühsam. Irgendwann dachte sich Couzin, das müsse einfacher gehen. Es geht einfacher, in dem man Computer nutzt. Denn Künstliche Intelligenzen (KI) können Ameisen besser verfolgen und lassen sich nicht ablenken. Dadurch war es Couzin und seinem Team möglich, mehrere Tiere präziser zu beobachten und schneller zu einem Ergebnis zu kommen. Diese Methode hat Iain Couzin perfektioniert.
  • Was hat er von den Tieren gelernt? „Wir haben herausgefunden, wie Wanderameisen, obwohl sie fast blind sind, Gassen bilden, um Staus auf ihren Pfaden zu minimieren. Dabei verbinden sie ihre Körper miteinander, um lebende Brücken zu bilden. Der Kolonie wird es dadurch ermöglicht, Lücken zu schließen“, sagt er. Sogar demokratische Prozesse habe er entdeckt: „In Studien zur kollektiven Entscheidungsfindung bei Fischschwärmen haben wir festgestellt, dass ‚uninformierte‘ Individuen eine entscheidende Rolle bei der Förderung fairer, ja sogar demokratischer und schneller Gruppenentscheidungen spielen.“
  • Gibt es einen Nutzen für die Menschen?Ja, den gibt es. Auch wenn er auf den ersten Blick nicht sofort erkennbar ist. „Erst kürzlich haben wir virtuelle Realität bei Fliegen, Heuschrecken und Fischen eingesetzt“, erzählt Forscher Couzin. Die gewonnenen Erkenntnisse seien aber keine Spielerei in der Wissenschaft. Denn: „Diese Studien haben es uns ermöglicht, uns von Tieren inspirieren zu lassen und Roboter zu entwickeln, die sich wie echte Tiere bewegen und interagieren. Wir finden auf diese Weise neue Wege, wie Roboterschwärme die ‚kollektive Intelligenz‘ nutzen können, um den Raum effektiv zu erkunden und zusammenzuarbeiten, zum Beispiel bei Such- und Rettungsaktionen“, erläutert er.
  • Was macht Couzin mit dem Preisgeld? „Ich plane, das Preisgeld für Forschungsarbeiten in Neurowissenschaften und Biodiversitäten einzusetzen“, sagt Iain Couzin. Eigentlich hätten dieses Bereiche auf den ersten Blick keine Überschneidungen. Aber: „Es hat sich gezeigt, dass eine sehr soziale Art kleiner Fische – der Zebrabärbling – für präklinische Studien menschlicher Krankheiten wie Diabetes, Fettleibigkeit und Herzkrankheiten sehr hilfreich ist. Unsere jüngsten Forschungsarbeiten ergaben, dass Mutationen von 90 Genen, die mit menschlichen psychiatrischen Störungen wie beispielsweise Autismus und Schizophrenie in Verbindung gebracht werden, auch das kollektive Verhalten von Zebrafischen stören“, erläutert der Wissenschaftler.
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Das heißt im Klartext: Wenn man bei den Fischen die neuronalen Schaltkreise identifizieren kann, die das Sozialverhalten regulieren, kann man dadurch möglicherweise Rückschlüsse auf psychiatrische Störungen beim Menschen ziehen. Noch einfacher gesagt: Welche Gene mit bestimmten Störungen in Verbindung stehen könnten. Um das untersuchen zu können, hilft das nun preisgekrönte „Couzin-Modell“ – also die Kombination von Schwarmintelligenz bei Tieren und der modernen KI-Technik.