Sie können nicht mal eine Kohlmeise von einer Blaumeise unterscheiden? Nicht schlimm. Deshalb gibt es Spickzettel mit Fotos und Gesangsproben der häufigsten Vögel – für diejenigen, die zum ersten Mal bei der Stunde der Wintervögel mitmachen. Die wird von der Umweltorganisation Nabu organisiert und ist die größte winterliche Vogelzählung, die jedes Jahr in deutschen Gärten und Parks stattfindet. 

Wer in der Zeit vom 6. bis 9. Januar dabei sein will (wie’s genau geht, lesen Sie im Kasten), muss nicht einmal raus in die Kälte. Es reicht, vom Sofa aus dem Fenster den Baum oder das Vogelhäuschen zu beobachten. Wer gegen den Winterblues Tageslicht tanken möchte, kann auch während des Park- oder Strandspaziergangs zählen oder auf dem Balkon. Letzten Winter haben rund 236.000 Menschen mitgemacht und Amseln, Blaumeisen und Spatzen gezählt. Aber wozu diese jährliche Vogelzählung – und das schon zum zwölften Mal? 

Zugegeben: Harte Forschungsdaten, die Verlässliches über den Bestand heimischer Arten aussagen, entstehen bei dieser Art der Bürgerbeteiligung nicht. Schon deshalb, weil sich zugezogene Wintergäste nicht von dauerhaft ansässigen Vögeln unterscheiden lassen. "Einem Rotkehlchen kann weder ein Laie noch ein erfahrener Vogelkundler ansehen, ob es im Nachbargarten oder in Nordostpolen geschlüpft ist", erklärt Wolfgang Fiedler, Ornithologe und Spezialist für Zugvögel am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell.

Natürlich sei auch die Fehlerquote beim Bestimmen der Vögel unter den Freiwilligen höher, als wenn nur Vogelkundler und Zoologinnen mitmachen würden – und die Beobachtungssituationen seien sehr unterschiedlich. 

Wer sich an ein üppig mit Futter gefülltes Vogelhäuschen stellt, wird voraussichtlich mehr Vögel pro Stunde sehen als jemand, der auf dem Land nach scheuen, gut getarnten Spezies im Gras Ausschau hält. Mehr Arten entdeckt man am Futterplatz aber nicht unbedingt. Wenn immer wieder dieselben Vögel eine Futterstelle anfliegen oder manche Art das ausgelegt Futter nicht mag, kann all das die Ergebnisse verfälschen. Auch nachtaktive Arten wie Eulen werden bei dieser Art der Vogelzählung nur selten gesichtet.

In 85,92 Prozent der Gärten gab es im vergangenen Winter Kohlmeisen.

Weil die Fehler, die bei so einem Bürgermonitoring passieren – also Fehlbestimmungen, die Beeinflussung durch Futterstellen, Mehrfachzählungen –, jedes Jahr ähnlich stark ausfallen dürften, könne man das statistisch auch ganz gut herausrechnen, erklärt der Ornithologe Fiedler. Die Zählungen geben oft spannende Hinweise auf Veränderungen in der Vogelwelt, von denen es sich lohnt, sie genauer zu erforschen.

Wer sich’s leicht machen will, zählt am Meisenknödel

Ein Beispiel: "Seit dem Frühjahr 2020 ging unter Blaumeisen eine Infektion um. Viele starben durch ein Bakterium namens Suttonella ornithocola. Der Effekt war in der Vogelzählung bemerkbar", sagt Ute Eggers, Biologin und Vogelschutzreferentin beim Nabu. Gleichzeitig wurden die Folgen dieser Vogelseuche auf die Blaumeisen intensiv erforscht. Vor allem in Bayern hatte die Krankheit Vögel befallen. Im Jahr darauf erholte sich der Bestand wieder.

Im Vergleich zum Frühling schwillt der Blaumeisenbestand jeden Winter an, wegen der Wintergäste aus Nord- und Osteuropa, die zu uns in mildere Breiten kommen. Dasselbe gilt für Seidenschwänze, Bergfinken oder Rotkehlchen. "Wenn sich diese Zugbewegungen infolge veränderter Witterungsbedingungen verschieben, sehen wir das auch an den Zahlen", sagt Eggers. "Je milder das Wetter in Nord- und Osteuropa im Winter ausfällt, desto später ziehen diese kleinen Singvögel in Richtung Deutschland. Manche kommen gar nicht mehr."

Genaue Bestände und Zugbewegungen ließen sich nur an individuell markierten Vögeln etwa durch Beringung oder Sender klären", sagt Wolfgang Fiedler, der als Leiter der Zentrale für Tiermarkierung an seinem Institut genau das macht. Zählungen wie die Stunde der Wintervögel könnten aber durchaus zeigen: "Da tut sich was." Eine Umfrage in einem lokalen Vogelbeobachtungsforum habe kürzlich ergeben, dass in einigen Regionen keine Grünfinken mehr an den Vogelhäuschen zu sehen sind. Die Winterzählung könne aufdecken, ob das deutschlandweit so ist, und erste Hinweise auf Ursachen liefern.

Das Zählen soll Spaß machen!

"Es geht darum, Trends zu erkennen, aber auch ums Mitmachen an sich", sagt die Nabu-Vogelexpertin Eggers, die selbst zu Weißstörchen promoviert hat. Die Stunde der Wintervögel sei ein guter Anlass, die Natur vor der Haustür bewusster zu erleben und heimische Arten kennenzulernen. Die Leute könnten in ihrer eigenen Siedlung etwa beobachten, dass kaum noch Mauersegler vorkommen, weil alle potenziellen Nistplätze im Mauerwerk versiegelt seien, erklärt Eggers. "Oder sie fragen sich, wie sie ihren Balkon so bepflanzen können, dass mehr Insekten und Vögel kommen."

Spatz Haussperling Nabu Stunde der Wintervögel
© NABU/​Fotonatur

Im Durchschnitt 6,87 Hausspatzen pro Garten zählten die Hobbyvogelforscher im letzten Jahr: Platz eins!

Gleichzeitig entsteht so ein wertvoller Datensatz, der Forschenden für weitere Studien dienen kann. Umweltökonomen wollen die Ergebnisse der Vogelzählung zum Beispiel nutzen, um genauer herauszufinden, wie sich die Artenvielfalt auf unsere Zufriedenheit und Gesundheit auswirkt. Erste Studien lassen ahnen, dass Menschen dort glücklicher sind, wo die Vielfalt der Natur groß ist (Ecological Economics: Methorst et a., 2021).

Aber sind nach so vielen Vogelzählungen überhaupt noch Überraschungen zu erwarten? Traditionell landet der Haussperling – vielen als Spatz bekannt – als häufigster Gartenbesucher im Winter auf Platz eins. In mehr als jedem zweiten Garten wird er gezählt. Was übrigens nicht bedeutet, dass es dieser Art, auf Latein Passer domesticus, generell gut gehe. Feldsperlinge sind etwas seltener, landen aber immer noch oft unter den Top fünf.

Gerade erst ergab eine Berechnung der Vogelbestände Europas, dass die Zahl der Haussperlinge (Ecology and Evolution: Burns et al., 2021) in Europa seit 1980 um fast die Hälfte gesunken ist. In absoluten Zahlen schätzen die Forschenden, dass es also 250 Millionen dieser Spatzen weniger gibt als noch vor gut 40 Jahren. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Das Insektensterben, der Einsatz von Pestiziden oder Landschafts- und Klimaveränderungen lassen unter anderem Vogelbestände schrumpfen.